Minsterrat für gemeinsame Angelegenheiten
(19. Juli 1914)
K.Z. 50
G.M.K.P.Z. 513
Protokoll
des zu Wien am 19. Juli 1914 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitz des Ministers des k. u. k. Hauses und des Äußern Grafen Berchtold.
Gegenwärtige :
Der k. k. Ministerpräsident Graf Stürgkh,
der k. ung. Ministerpräsident Graf Tisza,
der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Dr. Ritter von Bilinski
der d. u. k. Kriegsminister FZM. Ritter von Krobatin,
der k. u. k. Chef des Generalstabes G. d. I. Freiherr Conrad von Hötzendorf ,
der Stellvertreter des Marinekommandanten Konteradmiral von Kailer.
Schriftführer: Legationsrat Graf H o y o s.
Gegenstand: Die bevorstehende diplomatische Aktion gegen Serbien.
Bevor der gemeinsame Ministerrat sich konstituiert und der Versitzende die Sitzung eröffnet, findet eine formlose Besprechung über die Redaktion der an Serbien zu richtenden Note statt und wird deren definitiver Text festgestellt.
Der Vorsitzende eröffnet hierauf den Ministerrat und beantragt, daß die Note der königlich serbischen Regierung am Donnerstag, den 23. Juli, um 5 Uhr nachmittags überreicht werde so daß die 48 stündige Frist am Samstag, den 25.1. M., um 5 Uhr nachmittags ablaufe und die Mobilisierungsverordnung noch in der Nacht von Samstag auf Sonntag hinausgegeben werden könne. Nach Ansicht des Grafen Berchtold ist es nicht wahrscheinlich, daß unser Schritt noch vor der Abreise des Präsidenten der französischen Republik von Petersburg bekannt werden wird, aber selbst wenn dies der Fall wäre, würde er hierin keinen großen Nachteil erblicken, nachdem wir den Courtoisierücksichten genügt hätten, indem wir das Ende des Besuches abgewartet hätten. Dagegen würde er sich aus diplomatischen Gründen entschieden gegen eine weitere Verschiebung aussprechen müssen, da man schon jetzt beginne, in Berlin nervös zu werden, und Nachrichten über unsere Intentionen schon nach Rom durchgesickert seien, so daß er nicht für unerwünschte Zwischenfälle gutstehen könne, wenn man die Sache noch hinausschieben würde.
Mit Rücksicht auf diese Erklärung des Vorsitzenden wird einstimmig beschlossen, daß die Note am 23. um 5 Uhr nachmittags zu übergeben sein wird.
Der königlich ungarische Ministerpräsident behält sich vor, falls die Nachricht von der Überreichung des Ultimatums schon am Donnerstag abends aus Belgrad nach Budapest gelangt sein sollte, im ungarischen Abgeordnetenhause eine Erklärung abzugeben. Dies wird zur Kenntnis genommen.
Der Chef des Generalstabes betont, daß er auch aus militärischen Gründen eine möglichst rasche Initiierung der Aktion für wünschenswert halten würde. Die ihm in der letzten Zeit aus Serbien zugekommenen militärischen Nachrichten hätten etappenweise drei Situationen ergeben.
Anfangs hätten größere Truppenansammlungen mit starken Standen an der bulgarischen und albanesischen Grenze stattgefunden; in der zweiten Situation seien Meldungen über Mannschaftsendungen nach dem alten Serbien gemeldet worden; diese hatten sich aber dann als ungefährlich herausgestellt, indem es sich nur einen Austausch von Reservisten gehandelt habe; seit drei Tagen erhalte er aber wieder ernstere Nachrichten. Zuerst sei ihm gemeldet worden, daß zwei Regimenter, das 6. und 17., aus Neuserbien nach Altserbien geschoben worden seien; gestern habe er von sehr beachtenswerter konfidentieller Quelle aus Bulgarien die Nachricht erhalten, daß drei Divisionen nach dem Norden dirigiert worden seien. Er müsse diese Nachrichten noch verifizieren lassen. Falls sie wahr seien, würde er sich für die ehetunlichste Durchführung von Gegenmaßregeln aussprechen müssen.
Sodann wird die Frage der Verhängung des Ausnahmszustandes in allen von Südslaven bewohnten Gebieten der Monarchie besprochen und nach einer langen, eingehenden Erörterung dieser Frage einstimmig beschlossen, daß der Ausnahmszustand nicht vor der Bekanntmachung der Mobilisierung verhängt werden soll, um den schlechten Eindruck zu vermeiden, den die vorzeitige Verhängung des Ausnahmszustandes nicht nur im Auslande, sondern auch bei unserer Bevölkerung hervorrufen müßte. Dies gilt auch für Bosnien und die Herzegowina, wo der Ausnahmszustand auch erst mit dem Beginn der Mobilisierung in Kraft zu treten hätte.
Der k. u. k. Kriegsminister gibt hierauf Aufschlüsse über die verschiedenen Mobilisierungsmaßnahmen, welche er vorbereitet habe. Aus seinen Äußerungen geht hervor, daß alles Erforderliche am Mittwoch, den 22. d. M., der allerhöchsten Sanktion unterbreitet werden soll, und daß das Einvernehmen mit den beiden Regierungen bezüglich der von den Verwaltungsbehörden vorzunehmenden Amtshandlungen bereits hergestellt wurde.
Hierauf beschließt der Ministerrat, daß der Landeschef von Bosnien und der Herzegowina durch Privatschreiben des gemeinsamen Finanzministers von den Absichten der k. u. k. Regierung gegenüber Serbien in Kenntnis gesetzt werden wird.
Auf Wunsch des königlich ungarischen Ministerpräsidenten gibt der Chef des Generalstabes noch geheime Auskünfte über die Mobilisierung und erklärt über eine Anfrage des Grafen Tisza, daß die im Falle einer allgemeinen Mobilisierung in Siebenbürgen verbleibenden Sicherungsbesatzungen weitaus genügen, um die innere Ruhe des Landes bei lokalem Aufruhr zu sichern. Es handle sich um Landsturmformationen unter dem Kommando von Offizieren. Das Oberkommando werde ein höherer General übernehmen. Zum Schutze des Landes gegen eine rumänische Armee würden diese Truppen allerdings nicht genügen, sie könnten aber auch in diesem Falle den Vormarsch der Rumänen verzögern. Diese Truppen seien so ausgesucht, daß nur ein kleiner Prozentsatz von ungarländischen Rumänen darunter sei.
Der königlich ungarische Ministerpräsident erklärt sich mit dieser Erklärung befriedigt und betont, daß die königlich ungarische Regierung ihrerseits für eine Verstärkung der Gendarmerie in Siebenbürgen Vorsorge treffen und im Ernstfalle einen königlichen Kommissär dahin ernennen würde, der mit dem Oberkommandanten der Truppen einvernehmlich vorgehen würde, um die Ruhe im Lande aufrechtzuerhalten. In Siebenbürgen werde sofort nach der Mobilisierung der Ausnahmszustand verhängt werden.
Auf Wunsch des k. k. Ministerpräsidenten wird hierauf die Frage akademisch erörtert, was die k. u. k. Regierung zu unternehmen hätte, wenn Italien eine Expedition nach Valona entsenden sollte.
Der Vorsitzende verweist darauf, daß er eine solche Aktion seitens Italiens nicht für wahrscheinlich halte, und daß auch diplomatisch einer solchen entgegengearbeitet werde. Sollte sie dennoch stattfinden, so müßte die k. u. k. Regierung wahrscheinlich pro forma an derselben teilnehmen; doch sei es noch verfrüht, dieses ernstlich ins Auge zu fassen.
Hierauf ersucht der königlich ungarische Ministerpräsident die Anwesenden, den Beschluß zu fassen, von dem er, wie er bei der letzten Besprechung betont hätte, die Zustimmung der königlich ungarischen Regierung zur ganzen Aktion abhängig machen müsse. Der Ministerrat hätte nämlich noch einstimmig auszusprechen, daß mit der Aktion gegen Serbien keine Eroberungspläne für die Monarchie verknüpft seien, und daß dieselbe bis auf aus militärischen Gründen gebotene Grenzberichtigungen kein Stück von Serbien für uns annektieren wolle. Er müsse unbedingt darauf bestehen, daß ein solcher einstimmiger Beschluß gefaßt werde.
Der Vorsitzende erklärt, daß er sich dem Standpunkte des königlich ungarischen Ministerpräsidenten nur mit einer gewissen Reserve anschließen könne. Auch er sei der Ansicht, daß, wie die politische Lage jetzt sei, wir, im Falle wir in einem Kriege mit Serbien den Sieg davontragen, von diesem Lande nichts annektieren, sondern trachten sollten, es durch möglichst große Abtretung von serbischen Gebieten an Bulgarien, Griechenland und Albanien, eventuell auch Rumänien, so zu verkleinern, daß es nicht mehr gefährlich sei. Die Situation am Balkan könne sich Ändern, es sei immerhin nicht unmöglich, daß es Rußland gelinge, daß jetzige Kabinett in Sofia zu stürzen und dort wieder ein uns feindselig gesinntes Regime an die Macht zu bringen; Albanien sei auch noch kein verläßlicher Faktor, und er müsse als Leiter der auswärtigen Politik mit der Möglichkeit rechnen, daß es uns am Ende des Krieges wegen der dann vorhandenen Verhältnisse nicht mehr möglich sein werde, nichts zu annektieren, wenn wir bessere Verhältnisse an unserer Grenze schaffen wollten, als wie sie jetzt bestehen.
Der königlich ungarische Ministerpräsident erklärt, er könne die Reserven des Grafen Berchtold nicht gelten lassen und müsse mit Rücksicht auf seine Verantwortlichkeit als ungarischer Ministerpräsident darauf bestehen, daß sein Standpunkt einstimmig von der Konferenz angenommen werde. Er stelle dieses Verlangen nicht nur aus Gründen der inneren Politik, sondern insbesondere auch, weil er persönlich überzeugt sei, daß Rußland sich à outrance zur Wehr setzen müßte, wenn wir auf der vollständigen Vernichtung Serbiens bestehen würden, und weil er glaube, daß eines unserer stärksten Atouts, um unsere internationale Situation zu verbessern, darin bestehen würde, daß wir möglichst bald den Mächten erklären, keine Gebiete annektieren zu wollen.
Der Vorsitzende erklärt, ohnedies die Absicht zu haben diese Erklärung in Rom abzugeben.
Der k. k. Ministerpräsident verweist darauf, daß wenn auch die Besitzergreifung serbischen Territoriums durch die Monarchie ausgeschlossen bleiben solle, es doch noch möglich sein werde, Serbien durch die Absetzung der Dynastie, eine Militärkonvention und andere entsprechende Maßregeln in ein Abhängigkeitsverhältnis zur Monarchie zu bringen. Auch dürfe der Beschluß des Ministerrates nicht etwa notwendig erscheinende strategische Grenzberichtigungen unmöglich machen.
Nachdem der k. u. k. Kriegsminister erklärt hat, daß er diesem Beschluß zustimmen würde, jedoch nur unter der Bedingung, daß außer einer Grenzberichtigung auch die dauernde Besetzung eines Brückenkopfes jenseits der Save, etwa des Schabatzer Kreises, hiedurch nicht ausgeschlossen werden dürfe, wird der nachstehende Beschluß einstimmig gefaßt:
Der gemeinsame Ministerrat beschließt auf Antrag des königlich ungarischen Ministerpräsidenten, daß sofort bei Beginn des Krieges den fremden Mächten erklärt werde, daß die Monarchie keinen Eroberungskrieg führt und nicht die Einverleibung des Königreiches beabsichtigt. Natürlich sollen strategisch notwendige Grenzberichtigungen sowie die Verkleinerung Serbiens zugunsten anderer Staaten sowie eventuell notwendige vorübergehende Besetzungen serbischer Gebietsteile durch diesen Beschluß nicht ausgeschlossen werden.
Der Vorsitzende konstatiert hierauf, daß erfreulicherweise in allen Fragen vollständige
Einmütigkeit erzielt worden sei und hebt hierauf den Ministerrat auf.
Ich habe den Inhalt dieses
Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, am 5. August 1914.
Franz Joseph m. p.
Schriftführer :
A. Hoyos m. p.
Berchtold m. p.