Graf Berchtold an Herrn von Mérey in Rom
Telegramm Nr. 843
Wien, den 20. Juli 1914
Streng vertraulich
Bei Ihrer laut Telegramm Nr. 523(1) voraussichtlich morgen stattfindenden Zusammenkunft mit Marquis di San Giuliano können Euer Exzellenz ungefähr folgende Sprache führen:
Über den Abschluß der Untersuchung in Sarajevo und unsere in Belgrad aus diesem Anlasse beabsichtigten Schritte sei Euer Exzellenz noch keine präzise Information zugekommen. Doch hätte ich Hochdieselben verständigt, daß das bereits vorliegende Material sowie die seit Jahren fortgesetzten serbischen Wühlereien uns zu einer ernsten Sprache in Belgrad zwingen würden. Euer Exzellenz seien ermächtigt worden, dies persönlich Marquis di San Giuliano mitzuteilen und hinzuzufügen, daß wir bei unseren Schritten in Belgrad deren friedlichen Erfolg als durchaus im Bereiche der Möglichkeit gelegen erachteten. Jedenfalls seien wir überzeugt, daß wir bei der Klärung unseres Verhältnisses zu Serbien auf die Bundestreue und loyale Haltung Italiens rechnen könnten. Marquis di San Giuliano hätte in richtiger Beurteilung der internationalen Lage sowohl öfters Euer Exzellenz als mir in Abbazia erklärt, Italien brauche ein starkes Österreich-Ungarn. Die Klärung unseres so mißlichen Verhältnisses zu Serbien erschiene als eine absolute Notwendigkeit zur Erhaltung der gegenwärtigen Situation der Monarchie und der derzeitigen Widerstandskraft des Dreibundes, auf dessen Festigkeit der Friede und das Gleichgewicht Europas beruhe. Im gegenwärtigen Augenblick sei es auch im Interesse Italiens, daß dasselbe offensichtlich unsere Partei ergreife. Es wäre daher auch sehr wichtig, daß der Minister rechtzeitig Vorsorge treffe, damit die italienische öffentliche Meinung im bundesfreundlichen Sinne inspiriert werde und sich möglichst daran halbe, sobald unsere Demarche in Serbien, welche wir der italienischen Regierung mitteilen werden, erfolgt.
Im Laufe der eventuell sich entspinnenden Diskussion können Euer Exzellenz vorläufig
ohne Auftrag ihre begründete Überzeugung dahin aussprechen, daß, selbst wenn die friedlichen
Mittel versagen würden, das Kabinett von Wien an keinen Eroberungsfeldzug und an keine
Einverleibung von serbischen Gebieten denkt. Bei dieser Gelegenheit können Euer Exzellenz auch
die tendenziöse Erfindung des »Temps«, als ob wir einen Überfall auf den Lovcen beabsichtigt
hätten, kategorisch in Abrede stellen. Im Gegenteil wären wir der italienischen Regierung sehr
verbunden, falls sie ihren Einfluß in Cetinje geltend machen würde, Montenegro, dessen Haltung
übrigens wesentlich verschieden von jener der Belgrader Regierung ist und welches selbst üble
Erfahrungen mit von Serbien exportierten Bomben gemacht hat, anläßlich unserer Konversation
mit Belgrad zu vollkommener Ruhe zu bewegen.