Graf Szécsen an Grafen Berchtold
Telegramm Nr. 123 Aufg. 5 Uhr 20 M. p.m. Chiffre
Serbien.
Die Presse bespricht mit großer Aufregung, aber mit gewisser Vorsicht, unseren Schritt in
Belgrad. Bis jetzt ist die Haltung der Zeitungen nicht ganz so feindselig, wie zu befürchten war.
Man will sich nicht à fond engagieren, da man noch keine Instruktionen von Herrn Poincaré und
Viviani hat, die ihrerseits offenbar erst mit Petersburg Fühlung suchen.
Im allgemeinen zeigt man für unsere Forderungen, speziell soweit sie sich auf die
Untersuchung gegen die Attentäter und ihre Helfer beziehen, einiges Verständnis. Es wird die
praktische Undurchführbarkeit gewisser unserer Wünsche in ihrer gegenwärtigen allgemeinen
Fassung betont; dies bezieht sich speziell auf Punkt 1, 3, 5, 9.
Der russische Geschäftsträger schildert Situation in den schwärzesten Farben und ist
bestrebt, hier den Eindruck hervorzurufen, daß wir um jeden Preis einen europäischen Krieg
hervorrufen wollen. Da ein solcher derzeit hier sehr unerwünscht wäre soll auf diese Weise die
Antipathie gegen uns geschürt und wir für allfällige Komplikationen, die nur Rußland hervorrufen
kann, verantwortlich gemacht werden. Englischer Botschafter sagte mir gestern, Rußland wird
den Kampf nicht aufnehmen.
Das gleichzeitige Bekanntwerden unserer Note nach Belgrad mit den Ergebnissen der
Untersuchung in Sarajevo hat öffentliche Aufmerksamkeit von letzteren etwas abgelenkt. Es wäre
vielleicht nützlich, die Untersuchungen, eventuell durch einige Details ergänzt, neuerlich in
amtlicher Form hinauszugeben.
Die bereits einmal dementierte Nachricht, Serbien habe vor Attentat Warnung nach Wien
erteilt, wird von einigen Zeitungen, speziell heutigen »Temps«, wieder aufgewärmt.
Neuerliches Dementi wäre von Nutzen.
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Jane Plotke (content) or Richard Hacken (form).
Last Updated: June 18, 1997.