Graf Berchtold an die k. u. k. Botschafter in Petersburg und Berlin
Wien, den 25.Juli 1914 Geheim Euer Exzellenz Telegramm Nr. 160 vom 24. 1. M.(1).
Ersuche Euer Exzellenz, das Moment des territorialen Desinteressements vorläufig weder
Herrn Sazonow noch Ihrem italienischen Kollegen gegenüber zu berühren.
2
Graf Szápáry telegraphiert unterm 24. d. M. wie folgt:
»Nach fünfstündigem Ministerrate empfing Herr Sazonow abends deutschen Gesandten,
mit dem er eine lange zum Teil erregte, schließlich aber freundschaftlich endende Unterredung
hatte.
Minister verfocht Grafen Pourtalès gegenüber die - wahrscheinlich als Resultat des
Ministerrats zu betrachtende - Ansicht, der österreichisch-ungarisch-serbische Streit sei keine auf
diese zwei Staaten beschränkte Abgelegenheit, sondern eine europäische, da der im Jahre 1909
durch eine serbische Deklaration erfolgte Ausgleich unter den Auspizien ganz Europas vollzogen
worden sei. Minister hob hervor, daß ihn besonders der Umstand unangenehm berührt habe, daß
Österreich-Ungarn die Prüfung eines Dossiers angeboten habe, während bereits ein Ultimatum
ergangen sei. Rußland würde eine internationale Prüfung des von uns zur Verfügung gestellten
Dossiers verlangen. Mein deutscher Kollege machte Herrn Sazonow sofort darauf aufmerksam,
daß Österreich-Ungarn eine Einmischung in sein . . . . . . . .(2) zu Serbien nicht akzeptieren werde,
und daß auch Deutschland seinerseits eine Zumutung nicht annehmen könne, welche würde des
Bundesgenossen als Großmacht zuwiderlaufe.
Im weiteren Verlaufe des Gespräches erklärte Minister, daß dasjenige, was Rußland nicht
gleichgültig hinnehmen könne, die eventuelle Absicht Österreich-Ungarns wäre, »de dévorer la
Serbie«. Graf Pourtalès erwiderte, daß er solche Intention bei t)sterreichUngarn nicht annehme, da
dies dem eigensten Interesse der Monarchie zuwiderlaufen würde. Österreich-Ungarn sei wohl nur
daran gelegen »d'infliger á la Serbie le châtiment justement mérité«. Herr Sazonow habe seine
Zweifel daran ausgedrückt, ob Österreich-Ungarn, selbst wenn hierüber Erklärungen vorliegen
würden, sich hieran genügen lassen würde.
Die Unterredung schloß mit einem Appell Herrn Sazonows, Deutschland möge mit
Rußland an der Erhaltung des Friedens zusammenarbeiten. Der deutsche Botschafter versicherte
dem russischen Minister, daß Deutschland gewiß nicht den Wunsch habe, einen Krieg zu
entfesseln, daß es aber selbstverständlich die Interessen seines Bundesgenossen voll vertrete.«
Vorstehendes zu Euer Exzellenz persönlichen Information und zur streng vertraulichen
Mitteilung an den Herrn Staatssekretär.
1. Siehe II, Nr. 19.
2. Chiffre fehlt.
Adresse:
1. Graf Szápáry in Petersburg, Nr. 175,
2. Graf Szögyény in Berlin, Nr.262.
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Last Updated: June 18, 1997.